#RabenmütterErzählen: Rabenmutter aus Überzeugung

rabenmutter

Achtung: Sarkasmus, Ironie und Zynismus zusammen in einem Text

Anlass für diesen Artikel ist eine Situation vor etwa einer Woche, als ich Herrn Bart aufgebracht von einem Vorzeigetrotzanfall SEINER (ja, da distanziere ich mich dann) Tochter erzähle, weil ich es mir erlaubt habe, einen Apfel zu vergessen. Statt sich meine Schilderungen anzuhören und so etwas ähnlich pädagogisch Wertvolles wie „Ja, ich verstehe dich, das war sicher anstrengend“ zu sagen, meinte er nur beiläufig: „Naja, wieder ein Stricherl auf der Rabenmutterliste mehr.“ Mist. Meine ganze Perfektionslüge war mit nur einem Satz entlarvt. Er hat mich durchschaut. Meine Fassade ist gebrochen. Ich hätte erschüttert sein können, dachte aber nur: Wie lange würde es noch dauern, bis die Kinder meinen minimalistischen Mutteransatz durchschauen? Ich lebe mehr nach dem Motto: 100%ige Betreuung, aber nur 40% Aufmerksamkeit – und das so gut, dass es (so gut wie) keiner merkt.

 

Zurück zum Anfang: Woher kommt der Begriff der Rabenmutter?

Dazu müssen wir ins Tierreich schauen: Vernachlässigen Raben denn tatsächlich ihre Jungen? Junge Raben sind nach dem Verlassen des Nestes sehr unbeholfen und wurden schon früh, sich selbst überlassen. Noch bevor sie die Flugfähigkeit erlangen, verlassen sie nach eigenem Antrieb das Nest. Eine Rabenmutter ist ein Trugschluss, dass Raben keine fürsorglichen Eltern sind, denn die Vogelfutter kümmert sich ausgesprochen intensiv und vorbildlich um ihren Nachwuchs – ohne diese Pflege, würden diese nackten, hilflosen Wesen, die sie nach dem Schlüpfen sind, nicht überleben. Forscher haben herausgefunden, dass sich die Menscheneltern von den Rabeneltern sogar noch etwas abschauen könnten: Hat sich ein Rabenpärchen gefunden, bleibt es einander treu und ein Leben lang zusammen. Die Aufzucht des Nachwuchses erfolgt gleichberechtigt. Wer ist dann also Schuld an dem schlechten Ruf der Raben? Es ist wohl die Bibel, in der es heißt: „Wer bereitet den Raben die Speise, wenn seine Jungen zu Gott rufen und fliegen irre, weil sie nicht zu essen haben?“ (Buch Hiob)

 

 

Roseanne: Wenn meine Kinder am Ende des Tages noch leben, habe ich gute Arbeit geleistet

Als Rabenmutter bin ich also besser als mein Ruf – das beruhigt mich schon mal. Zweifellos gehöre ich zu jener Spezies „Muttertier“, die die Bedürfnisse ihres Kindes immer nach bestem Wissen und Gewissen zu befriedigen versuchte. Gewiss habe ich eine Zeit meine Bedürfnisse hinten angestellt und bin voll in meiner Mutterrolle aufgegangen. Nach drei Wochen bin ich dann aufgewacht und habe mich gefragt: „Was machst du da? Wann hast du dein Leben abgegeben?“ Das hat nichts damit zu tun, dass ich ab dann mein Kind schreien ließ, in der Ecke abstellte und nur mehr ein Mal am Tag zärtlich über das Köpfchen streichelte. Nein, ich habe weiterhin getragen, gestillt und familiengebettet – und da einen gewissen Egoismus entwickelt, der freie Zeiten für mich ermöglichte. Die Rabenmutterliste ist in den letzten Jahren jedoch deutlich gewachsen. Das hier ist nur ein Ausschnitt einer großen Sammlung:

 

  • Ich stelle mich schlafend, um noch ein paar Minuten mehr Ruhe zu haben.
  • Bei Schnupfen geht mein Kind noch in den Kindergarten.
  • Am Spielplatz lese ich lieber auf anderen Blogs als mit den Kindern herumzutollen (ich hasse Spielplätze).
  • Stillen war keine Leidenschaft. Es war mehr ein Pflichtgefühl.
  • Das stundenlange Vorlesen überlasse ich seit zwei Jahren gerne den Großeltern oder großen Geschwistern.
  • Ich habe im Wohnzimmer geschlafen, um einfach eine Nacht durchzuschlafen. Kind war mit Papa glücklich.
  • Meine Kinder werden auch bei Regen, Schnee und anderen Wetterlagen nicht mit dem Auto zur Schule kutschiert – wozu gibt es Regenschirme?
  • Kinderwägen haben sich als äußerst praktisch erwiesen.
  • Regelmäßig vergesse ich Apfelstücke und Dinkelstangen für unterwegs – oft auch das Trinken.
  • Feuchttücher oder Taschentücher habe ich auch nicht ausreichend parat – da braucht man gar nicht bei mir fragen.
  • Steinigt mich: Ich habe meine Kinder gelobt, mich mit ihnen gefreut und wertende Sätze wie „Super, toll gemacht“ von mir gegeben.
  • Ich arbeite. Gerne. Auch mit den Kindern. Home Office eben.
  • Ich koche nicht jeden Tag frisch, weil es mich einfach nicht jeden Tag freut.
  • „Wenn-dann“ funktioniert im Alltag. Bei uns wirst du es hören.
  • Am Wochenende kochen oft die Kinder – es macht ihnen Spaß (und schmeckt).
  • Es gibt keine Vorschüsse aufs Taschengeld.
  • Am Klo sperre ich zu. Konsequent.
  • Kranke Kinder sind anstrengend – nichts mit Mutterinstinkt und „ohhhh, jetzt kann sich Mami um dich kümmern- Kutschi-kutschi“.
  • Familienbett: Abgeschafft. Rigoros. Nachts hat Herr Bart „Bereitschaft“ und darf gerne auswandern.
  • Von 22 Uhr – 6 Uhr bin ich nur körperlich anwesend, aber nicht ansprechbar.
  • Ich spiele nicht oft mit meinen Kindern – das am Boden sitzen mit irgendwelchen Püppchen oder Figuren ist mir zuwider.
  • Ich hasse Playmobil – das Grauen in Spielzeugform.
  • Babysitter: Kann man nie genug haben – irgendwer hat immer keine Zeit.
  • Am Wochenende müssen sich die Kinder ihr Frühstück schon selber machen, wenn sie es vor 8 Uhr haben wollen.
  • Im Kinderzimmer läuft schon mal der Lurch, wenn die Kinder den Boden nicht sauber halten und ich nicht saugen kann.
  • Das Christkind als Druckmittel habe ich schon mal verwendet – doof halt, wenn sie dann nicht mehr daran glauben.
  • Mein Kind pinkelt am Straßenrand, wenn es mal muss. Es spart Zeit, nicht ständig eine Toilette suchen zu müssen.
  • Habe ich ein wichtiges Telefonat und die Kinder sind zu Hause, werden sie mit DVDs bestochen oder ich sperre mich im Zimmer ein – mein Telefonpartner dankt es mir.
  • Gesellschaftsspiele – sollen sie lieber mit Herrn Bart spielen, er hat da mehr Geduld.
  • Kindergeburtstage – es hat einen Grund, warum wir eine große Kinderparty veranstalten und nicht für jedes Kind eine eigene. Welchen wohl?
  • Meine Kinder bekamen auch Gläschenkost. Jetzt ist es raus.
  • Beim Picknick bin ich übrigens die mit dem gekauften Schokokuchen – der Liebling aller gesundheitsbewussten Mütter. Und Knabberzeugs nehme ich auch mal gerne mit.
  • Pünktlich um halb 3 findet man mich kaum beim Kindergarten – eher später.
  • Notlügen wie „Die Batterie ist leider leer“ habe ich schon oft benutzt, um nervige Krachmacher aus dem Weg zu räumen.
  • Beim Elternabend war ich auch schon mal „krank“.
  • Ich habe mein Baby schon mal im Auto sitzen lassen, um noch schnell bei der Tankstelle zu bezahlen.
  • Erst letzte Woche habe ich heimlich das Kinderzimmer ausgemistet. Ohne die Kinder. Und sie vermissen nichts.

 

Haben sie es nicht anders verdient?

Wenn ich mir da aber anschaue, was sich meine Kinder so leisten, dann spiele ich als Rabenmutter wohl in der oberen Liga mit, denn immerhin verhungern sie nicht, bekommen ausreichend Bewegung, frische Luft und tragen täglich frische Unterhosen und Socken.

Ich meine, sie machen mir mein Leben auch nicht gerade leicht, im Gegenteil: Die peinlichsten Fragen kommen im vollen Bus, die Trotzanfälle immer dann, wenn sie keiner braucht und jeder gaffen kann. Sie machen das Leben teurer, denn ich kaufe nur noch Bio-Lebensmittel ein. Krank werden sie nie gleichzeitig, sondern nacheinander und immer zu den stressigsten Zeiten in der Arbeit. Pünktlich bin ich nur dank großzügiger Zeitkalkulationen. Das ganze erste Jahr lang schafft es kein Parfum, den penetranten Geruch nach saurer Milch zu übertönen – als Mutter wirst du so auf 1 Kilometer entlarvt. Es riecht überhaupt immer nach irgendetwas. Spucke und Rotz kleben an dir dran. Als Baby kümmern sie sich nicht darum, wie viel Schlaf du brauchst– stattdessen schreien sie dich noch mehr an. Kein Wunder, nach ein paar Wochen mit ohne 4 Stunden Schlaf am Stück, schauen sie in das Gesicht eines Zombies. Der chronische Schlafmangel lässt einen die Wechstaben verbuchseln – wer sich hinsetzt, schläft auf der Stelle ein. Meist schmeckt ihnen gerade das nicht, was ich heute gekocht habe – morgen kann es anders ausschauen. Noch nie hatten wir Läuse – jetzt könnten wir einen Meldezettel für die kleinen krabbelnden Scheißerchen ausfüllen. Magen-Darm-Erkrankungen mit 5 Personen, wovon drei ihren Mageninhalt nicht verlässlich im Kübel hinterlassen können, sind eine echte Beziehungsprobe. Ich sage Pipi und Lulu. Kinder reden ständig rein und lassen nicht ausreden. Hello Kitty und Winnie Pooh zählen zu meinem aktiven Wortschatz – ich meine: Hallo? Die Nachmittage verbringe ich in einer wartenden Position: In der Musikschule, beim Turnen oder in der Bücherei. Mein halbes Leben besteht aus Warten auf die Kinder. Meine Handtaschen gehen am Flugplatz nur mehr schwer als Handgepäck durch. Schokolade muss ich verstecken oder heimlich essen, denn schließlich möchte ich ja „Vorbild sein“. Immer lassen sie alles rumliegen und ich steige auf irgendetwas: Lego, Auto, kleine Schuhe vom Puppenspiel. Sie spielen uns Eltern gegeneinander aus und sitzen dann heimlich kichernd in der Ecke, wenn wir uns fetzen. Dem 2kg zusätzlichen Sand in meiner Handtasche verdanke ich Rückenschmerzen – nicht zu vergessen die Essensreste und Brösel, die ihr eigenes Leben in meiner Handtasche beginnen. Sie verplanen meine Zeit, verabreden sich fürs Wochenende und wir sitzen bei öden Elternnachmittagen und reden worüber? Über unsere Kinder. Es ist zum Kotzen. Möchte man intim werden, haben sie plötzlich „Albträume“. Ihre feinen Antennen verraten ihnen schon die besten Situationen.

Und das schlimmste: Ich vertrage keinen Alkohol mehr.

Dazu kommt noch: Mein Tag ist randvoll und durchgeplant. Nichts mit Spontanität oder Planänderungen. Möchte ich spontan sein, dann muss ich es planen. Kinder aufwecken, fertig machen für Schule und Kindergarten, arbeiten, einkaufen, kochen, Kinder wieder abholen, den Nachmittag mit ihnen gestalten, abends wieder fertig machen fürs Bett und niederlegen. Seit 8 Jahren ist das mein Leben in wenigen Worten. Doch bin ich ein Monster, wenn ich mir meine Rabenmutterliste so anschaue?

Es gibt so viele Dinge, die können sie wunderbar ohne mich: Rollenspiele, Lego bauen, am Spielplatz spielen – ich bin keine Mama, die ihre Kinder 24h „dauerbespaßt“. Ich bin ihre Mutter, nicht ihre Animateurin. Und die brauchen sie auch nicht. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass meine Mutter mit mir gespielt hätte – dafür hatte ich Freundinnen, andere Kinder oder ich habe alleine gespielt.

Keine Frage, Kinder brauchen Aufmerksamkeit und auch die Nähe ihrer Eltern. So ein kleines Baby, das nicht einmal ausreichend stark ausgeprägte Nackenmuskulatur hat um den Kopf halten zu können, das einem den Schlaf raubt, die ganze Aufmerksamkeit fordert und erwartet, sein gesamtes Leben für es aufzugeben, ist ja noch einfach gegenüber den selbstzerstörerischen Kleinkindern, die 24h am Tag anscheinend nur Selbstmordgedanken haben, indem sie nach scharfen Messern greifen, ihre Finger in Steckdosen stecken und auch den Topf auf dem Herd besonders anziehend finden. Ich finde, ich mache meine Aufgabe schon gut, schließlich haben alle meine Kinder diese Phase gut überstanden und nur ein paar Schrammen abbekommen: Etwa ein blaues Auge, als mein talentiertes Kind mit dem Bobby Car gegen einen Baumstamm krachte und sich nicht darüber wunderte, dass der plötzlich schnell näher kommt und größer wird (habe ich etwa mein Fahrtalent vererbt?) oder als sie sich die Sicherheitsstangen (!!) aus dem Gitterbett ausbaute und dann kopfüber hinausfiel (ja, das wäre einer Vollblutfamilienbettlerin wohl nicht passiert). Aber nichts Lebensgefährliches – das muss mir doch als Pluspunkt mit tosendem Beifall angerechnet werden, oder? Andere fallen schließlich aus dem Fenster oder vom Wickeltisch. Das ist mir nicht passiert.

Es gibt so viele Sachen, die ich gerne mit meinen Kindern mache, aber eben nicht alles: Ich koche gerne mit ihnen, wir backen viel zusammen, wir verbringen viel Zeit im Wald und in der Natur (wohlgemerkt in der unstrukturierten), wir garteln und nähen gerne zusammen. Jeden Tag höre ich ihnen zu, wenn sie Gitarre und Geige spielen, helfe ihnen beim Lernen für die Schule, genieße gemeinsame DVD-Abende und Kuschelnachmittage. Ich habe meine Kinder gerne um mich und finde es schön, wenn wir uns alle am Sofa treffen, uns von unserem Tag erzählen oder jeder in ein Buch vertieft neben mir sitzt und liest. Ich beobachte sie gerne, wenn sie mit ihren Freunden zusammen sind, staune darüber, wie sie handeln und mit ihren Mitmenschen feinfühlig und empathisch interagieren, wie sie ihre Welt erkunden und für sich ordnen, welche Interessen sie entwickeln und wofür sie so richtig brennen. Vielleicht denken jetzt manche, ich vernachlässige meine Kinder, weil ich so egoistisch bin und auch auf mich achte. Damit komme ich zurecht. Kinder wollen an unserem Leben teilhaben, nicht unser Leben werden. Sie wollen unsere Aufmerksamkeit, aber nicht zu 100%. Meine Kinder wissen, dass ich für sie da bin, wenn sie mich brauchen. Dann schaue ich gerne vom Smartphone auf und unterbreche das Lesen, um mir von ihnen die Sandburg zeigen zu lassen, mir erzählen zu lassen, welche Abenteuer sie auf der Sandburg erleben und wie sie die Burg gebaut haben. Oder verarzte das verletzte Knie.

 

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2 KOMMENTARE

  1. DANKE! Ich hab herzlich gelacht! ???
    Ich kann ganz vieles nachfühlen und finde es ganz toll, dass du mit Witz und Sarkasmus ran gehst und nicht so bierernst. Klar, Kinder sind toll und unsere Zukunft und so aber nerven manchmal auch einfach. Super Beitrag! Freu mich schon, den gleich zu teilen. Danke!