Jeder Mensch nimmt täglich eine Flut von Informationen auf und verarbeitet diese: Beim Fernsehen, in der U-Bahn, in der Schule, am Arbeitsplatz. Damit wir nicht überflutet werden, verfügt unter Gehirn über einen Filter, der die Erfahrungen, Reize und Emotionen filtert, die für uns wichtig sind. Hochsensiblen Menschen fehlt dieser Filter.
15-20% aller Menschen und Tiere sind hochsensibel. Hochsensible Menschen sind nicht etwa jene, die weniger aushalten als andere, sondern es sind jene Menschen, die mehr wahrnehmen. Es ist einer reale physiologische Ursache eines besonders empfindlichen Nervensystems: Hochsensible Menschen nehmen feinere Einzelheiten auf und verarbeiten diese ausführlicher und tiefer. So nützlich dieser Effekt auch ist, so führt er auch dazu, dass hochsensible Menschen schneller überstimuliert sind. Hochsensibilität ist weder eingebildet, noch ist es eine subjektive Empfindung. In ihrem Buch „Hochsensibel – Was tun?“ geht Sylvia Harke davon aus, dass die Hochsensibilität vererbt wird.
Fast alles, was wir über Hochsensibilität wissen, verdanken wir der US-amerikanischen Psychotherapeutin Dr. Elaine N. Aron, die Erkenntnisse verschiedener Wissenschaftler mit eigenen Forschungen verband und so den Begriff der hochsensiblen Person 1997 prägte. 2005 wurde ihr Buch „Sind Sie hochsensibel?“ ins Deutsche übersetzt.
Ihr Fazit ist, dass hochsensible Menschen weder empfindlich, zart besaitet, dünnhäutig oder verrückt sind, sondern über eine besondere Gabe verfügen: Über die Gabe, Sinneseindrücke intensiver wahrzunehmen. Ihr Empfindungsspektrum ist facettenreicher und breiter, sie leben und lieben intensiver, sie achten auf Details, neigen zum Perfektionismus, blicken weiter voraus. Was ein Segen ist, ist auch zugleich ein Fluch. Denn mehr Reize bedeuten auch mehr Stimulation: Ein Reiz kann also zu intensiv sein (etwa ein lauter Knall), es können zu viele verschiedene Reize auf einmal sein (wenn mehrere Menschen auf einmal reden) oder über eine längere Zeit andauern (wenn das Etikett kratzt).
Die Forschung zum Thema Hochsensibilität reicht schon mit bis in die siebziger Jahre zurück. Aron zufolge nimmt jeder Mensch aus seiner Umwelt Informationen auf und verarbeitet diese je nach Relevanz für sich selbst – unwichtiges geht dabei einfach verloren. Nicht so bei hochsensiblen Menschen, denen ein solcher Filter fehlt und so mehr Reize in ihr Bewusstsein gelangen, weil sie über mehr Neurotransmitter verfügen: Sie nehmen alles auf und sind deshalb schnell reizüberflutet.
Hochsensibilität ist relativ neu – und wird deswegen oft genug angezweifelt.
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Aber: Hochsensibilität ist messbar:
Schon Iwan Pawlow und C.G. Jung glaubten daran, dass hochsensible Menschen ein Nervensystem besitzen, das sich genetisch von anderen unterscheidet. C.G. Jung, Schweizer Psychoanalytiker, Arzt und Mystiker, nannte diese Menschen die sensitiven Introvertierten. Er selbst stammte aus einer hochsensiblen Familie und definierte den introvertierten Mensch als am Subjekt interessiert, den extrovertierten Mensch am Objekt interessiert und kam zu dem Schluss, dass introvertierte Menschen am liebsten in einem selbst-kontrollierten Umfeld leben, in dem sie den sensorischen Input selbst steuern können. Für C.G. Jung war es klar, dass diese Menschen mehr Rückzug brauchen und vor Reizen geschützt werden müssen. Den Beweis dafür lieferte erst Dr. Aron 2014. Aber dazu später.
„Wer in den Spiegel des Wassers blickt, sieht allerdings zunächst sein eigenes Bild.
Wer zu sich selber geht, riskiert die Begegnung mit sich selbst.
Der Spiegel schmeichelt nicht, er zeigt getreu, was in ihn hineinschaut, nämlich jenes Gesicht, das wir der Welt nie zeigen, weil wir es durch die Persona, die Maske des Schauspielers, verhüllen.
Der Spiegel aber liegt hinter der Maske und zeigt das wahre Gesicht!“
(C. G. Jung)
Iwan Pawlow (der mit dem Hund) führte ein anderes Experiment durch: Er setzte Menschen einer intensiven Beschallung aus und stellte so ihre akustische Belastungsgrenze fest. 15-20% der Versuchspersonen erreichten diese Grenze sehr schnell bei einer noch eher geringeren Lautstärke.
Dr. Elaine Aron zeigte anhand eines Experiments, dass bestimmte Gehirnareale bei hochsensiblen Menschen stärker durchblutet werden und in Folge dessen auch intensivere Gefühle empfinden – im Positiven, wie im Negativen. Sie scannte das Gehirn von 18 Versuchspersonen, die Gesichter verschiedener Menschen mit unterschiedlichen Gesichtsausdrücken vorgelegt bekamen. Das Experiment zeigte deutliche Unterschiede zwischen hochsensiblen und weniger sensiblen Personen: Bei den besonders empathischen Menschen wurden bestimmte Hirnregionen verstärkt durchblutet und es waren vor allem die Bereiche im Gehirn aktiv, die mit Einfühlungsvermögen und Emotionen in Verbindung gebracht werden. Aber auch solche Hirnregionen, die für die Verarbeitung von Sinneseindrücken und für die Aufmerksamkeit verantwortlich sind, zeigten eine größere Aktivität.
Hochsensibilität ist keine Krankheit, es ist auch kein Nachteil fürs Leben, kein Hindernis. Es ist eine Eigenschaft, eine Veranlagung, ein Wesenszug, der viele positive Eigenschaften mit sich bringt und in einem richtigen Umfeld eine Bereicherung sein kann, wie etwa in beratenden Tätigkeiten, in der Forschung oder auch im künstlerischen Umfeld. Und zu wissen, dass man selbst oder dein Kind hochsensibel ist macht es leichter, toleranter im Umgang mit sich und anderen Menschen zu sein.
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