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Alles zu seiner Zeit. So hätten wir den Titel auch formulieren können. Das berühmte afrikanische Sprichwort „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht“ sollten sich Eltern in vielen Bereichen der Entwicklung zu Herzen nehmen. So auch bei der Sauberkeitserziehung.
Remo Largo erkannte:
„Ein früher Beginn und eine hohe Intensität der Sauberkeitserziehung beschleunigt die Entwicklung der Blasen- und Darmkontrolle nicht.“ Und: „Das Alter, in dem die Kinder sauber und trocken werden, wird durch die individuelle Reifung bestimmt.“
Die anale Phase
Laut Freud befinden sich Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr in der analen Phase, in der die ersten Forderungen an Zurückhaltung und Sauberkeit an das Kind gestellt werden. Das Kind lernt, dass es Dinge, die es erzeugt und die ihm wichtig sind, hergeben muss. Andererseits wird die Beschäftigung mit ihnen bestraft und abgelehnt. Das passiert etwa dann, wenn das Kind mit seinen Ausscheidungen spielen möchte – der Faktor Ekel entwickelt sich erst im Laufe der Sozialisierung.
Die anale Phase ist der Anfangspunkt von Macht und Kontrolle, von Hergeben und Behalten, vom eigenen Willen durchsetzen oder sich fremden Willen beugen. Es beginnt die Zeit des Sammelns, die nach Freud eng mit dem willentlichen Zurückhalten seiner Ausscheidungen und dem großen Interesse an den Produkten seitens der Erwachsenen zusammenhängt. Wird den Ausscheidungen so viel Bedeutung beigemessen, ist es im Umkehrschluss wichtig, diese zu sammeln. In Folge beginnt das Kind, alles zu sammeln und misst Dingen einen Wert bei, weil auch seine Eltern dies tun.
In der analen Phase genügt es, seinem Kind ein Töpfchen bereitzustellen und ihm zu zeigen, wie es verwendet wird. Ist das Kind bereit, wird es innerhalb weniger Tage sauber werden. Ohne Töpfchentraining.
Töpfchentraining beschleunigt die Entwicklung nicht
Remo Largo ist einer der wenigen Kinderärzte, die zum Thema „Sauberwerden“ geforscht haben. Er erkannte, dass Eltern ihre Kinder früher einfach mehrmals aufs Töpfchen gesetzt haben und dann meinten, das Kind sei sauber. Dabei hatte es nur nie die Möglichkeit, in die Windel zu machen, weil die Zeitabstände zwischen den Töpfchen-Zeiten so kurz waren (Zürcher Longitudinalstudien).
32% aller Kinder in den 50er Jahren wurden bereits im Alter von sechs Monaten abgehalten und 90% aller 1-jährigen Kinder. Erst mit einem Wandel zu einer kindorientierten Erziehung in den 70er und 80er Jahren wurde dieses Verhalten geändert. Dann kamen die Wegwerfwindeln, die dafür sorgten, dass das Training erst mit 14 Monaten und später begann. Allen Formen war aber eines gemeinsam: Die Kinder wurden jedoch mit oder ohne Training alle erst mit durchschnittlich 28 Monaten sauber. Was sagt uns das?
Ein eindeutiger Beweis, dass das Sauberwerden ein Reifungsprozess ist, der nicht beschleunigt werden kann durch das Training ehrgeiziger Eltern.
Wann werden Kinder sauber?
Mediziner gehen davon aus, dass das Kind erst im Alter von zwei bis drei Jahren Urin und Stuhl willentlich zurückhalten kann.
Dabei sind bereits Neugeborene fähig zu signalisieren, wann sie mal müssen – es ist also grundsätzlich möglich, ein Baby windelfrei zu erziehen. Windelfrei hat jedoch nichts mit einem Training zur Sauberkeit zu tun, sondern es geht um einen bindungsorientierten Umgang mit den Ausscheidungen des Kindes. Jedes Baby sendet Signale, wenn es mal muss. Egal ob groß oder klein. Nur wenn auf die Signale nicht geachtet wird und das Kind sich daran gewöhnt in die Windel zu machen, dann geht diese Fähigkeit verloren. Bei Babys, die windelfrei aufwachsen, ist nicht das Trocken bleiben das primäre Ziel, sondern es geht um die Kommunikation über Bedürfnisse, ähnlich dem Schlafen, Stillen und Kuscheln.
Zum Sauberwerden braucht es ein paar Voraussetzungen, denn der Prozess besteht aus vielen kleinen Einzelschritten:
1. Wahrnehmung eines Druckgefühls in Blase bzw. Anus
2. Zusammenhänge zwischen Wahrnehmung und Entleerung erkennen
3. Signalisieren, dass man mal muss
4. Kontrolle über den Schließmuskel
5. Das Kind muss in der Lage sein, Handlungen aufzuschieben
6. Motivation, die Toilette aufzusuchen
7. Selbständigkeit
Um diese 7 Punkte, die es zum Sauberwerden braucht erfüllen zu können, braucht das Kind in erster Linie Respekt und Zeit. In der Regel kann die Darmaktivität besser kontrolliert werden als die Blasenaktivität – Pannen sind ganz normal. Auch noch im Alter von 5-6 Jahren.
Die ersten Signale
Schon lange bevor das Kind das erste Mal das Töpfchen erklimmt, übt es das Sauberwerden. Viele Eltern berichten davon, dass sich das Kind in der Ecke versteckt oder hinhockt, wenn es mal muss. Das ist das erste Signal, dass das Kind eine Wahrnehmung für seine Blasen- und Darmaktivität entwickelt hat und ein Zeichen für die Eltern, dass ein Töpfchen nun gar keine so schlechte Idee wäre. Um aus dem Klogang keinen Machtkampf entstehen zu lassen, braucht das Kind Zeit. Schenken Eltern diesem Thema aber zu viel Aufmerksamkeit und wird das Kind gezwungen, reagiert es mit Trotz – in diesem Fall kann es zu einem Zurückhalten der Ausscheidungen führen, das mit schmerzhaften Verstopfungen einhergeht. Das muss nicht sein. Dann helfen keine Medikamente gegen die Verstopfung, sondern eine Reduzierung der Aufmerksamkeit.
Bei vielen Kindern klappt die kleine Seite anfangs besser als das große Geschäft – das hat viel mit Bewusstsein und Loslassen zu tun. Immerhin ist es ein Teil von ihm, das es selbst geschaffen hat und den es nun hergeben muss. Dabei brauchen Kinder Unterstützung und Begleitung – manchmal einfach in Form der Windel, um eine Verstopfung zu vermeiden.
Jedes Kind ist noch sauber geworden, aber jedes Kind in seinem Tempo. Belohnungssysteme, Lob und Zwang beschleunigen die Entwicklung und den Reifungsprozess nicht.
Was bringt nun das Töpfchentraining?
Im Grund genommen, gar nichts. Es ist ein Entwicklungsschritt, an dem die Eltern nichts beitragen müssen, damit das Kind es schafft. Es ist auch nichts, was geübt werden muss, denn es passiert von selbst. Gerade beim Thema Sauberwerden muss niemand dem Kind etwas antrainieren, es wird von selbst sauber werden, wenn es dazu bereit ist. Es braucht nicht mehr als Zeit und Begleitung auf seinem Weg. Immerhin sind wir alle noch sauber geworden, oder?
Keinesfalls schadet es dem Kind, wenn es seine Eltern oder Geschwister beim Klogang begleiten darf, wenn es mit dem Töpfchen spielen darf und auch daran ermutigt wird, es zu probieren. In einem unserer Lieblingsbücher heißt es: „Geht wohl nicht ist auch egal, klappt bestimmt beim nächsten Mal.“ Genau das sollten Eltern ihren Kinder vermitteln: Das wird schon. Hört man dann aber, dass der Paul aus der Spielgruppe und die Emma von nebenan, die noch dazu jünger ist, schon aufs Töpfchen gehen, steigt der Druck. Warum schafft mein Kind das noch nicht? Und dann wird es schwierig. Der Erwartungsdruck wird auf das Kind übertragen, ganz unbewusst, und führt über kurz oder lang zu einer Negativspirale. Und das Kind lernt, auf Befehl seine Blase zu entleeren.
Die ersten Erfolge werden noch mit Jubelrufen und Beifall gelobt. Das darf auch so sein, denn ist ja wirklich toll. Ich glaube, jede Mama kann das nachvollziehen. Das Kind läuft schon seit zwei Stunden zu Hause ohne Windel herum, der Topf steht griffbereit im Wohnzimmer, damit der Weg nicht zu weit ist. Man möchte es dem Kind ja nicht erschweren. Gut alle 15 Minuten probiert die ehrgeizige Mutter, an den Topf zu erinnern – damit es (oder sie?) das erste Erfolgserlebnis hat. Nach zwei Stunden hat das Kind dann endlich in den Topf gelullt. „Bravo, Super, toll gemacht mein Schatz!“ Es wird gelobt, geklatscht, ein Freudentanz aufgeführt. Das Kind merkt: Wenn ich da reinmache, dann freuen sich die anderen. Ist doch super. Es gefällt ihm vielleicht, wie sich die anderen zum Affen machen (überspitzt gesagt). Und so wird das Kind es immer öfters schaffen, „auf Befehl“ seine Blase zu entleeren.
Irgendwann lässt dann der Ehrgeiz nach, denn die Eltern glauben, jetzt müsse die kleine Ida schon alleine aufs Töpfchen gehen können. Das ist aber nicht so. Und die Hose wird nass. Schnell macht sich Frustration breit – bei Eltern und Kind. „Schon wieder umziehen, wieder etwas nass geworden, warum bist du denn nicht aufs Klo gegangen?“
Es ist eben ein Unterschied, auf Kommando ins Töpfchen zu machen oder im Alltag beim Spielen die volle Blase wahrzunehmen, das Spiel zu unterbrechen und es dann noch rechtzeitig aufs Klo zu schaffen. Das ist eine große Leistung für einen so kleinen Menschen, zumal es so viele andere Reize gibt, die interessanter wären. Jeder „Unfall“ bedeutet aber auch Frust für das Kind, das sich dann auch noch das Gemecker der Mutter anhören kann – es ist demotivierend, es zu wollen, aber noch nicht zu schaffen. Und was kommt dann? Passieren diese Unfälle über einen längeren Zeitraum, kommen gerne die Belohnungssysteme ins Spiel.
Von liebgemeinten Stickern
Schnell wird ein A4 Bogen gestaltet, darauf steht: Ich kann schon aufs Klo gehen. Die Eltern erklären klein Ida, für jedes Mal aufs Töpfchen gehen, bekommt Ida einen Sticker. Wenn sie 5 Sticker hat (und dazu gibt es einen Raster, weil Ida kann ja noch nicht abzählen), darf sie sich etwas aussuchen. Es ist nur ein lieb gemeinter Anreiz für das Kind, es wieder rechtzeitig aufs Klo zu schaffen (und ein Mittel, das häufig eingesetzt wird).
Die Eltern gehen also davon aus, dass es Ida noch nicht alleine kann. Doch was, wenn Ida es noch gar nicht schafft, noch gar nicht so weit ist? Dann starrt sie nun jeden Tag auf ein leeres Plakat und wird immer wieder daran erinnert, zu versagen. Sie möchte so gerne so einen doofen Sticker haben und stolz sein können, aber sie ist körperlich noch nicht so weit, ihre Blase alleine zu kontrollieren. Was passiert? Frustration und Kränkung.
Anders sehen wir es, wenn ein Kind schon körperlich dazu in der Lage ist, aber einfach einen kleinen Motivationskick braucht. Ich freue mich auch über eine Bonuszahlung oder ein Lob für meine Arbeit – das dürfen auch Kinder zwischendurch erfahren. Da müssen Eltern also genau unterscheiden, ob es nur einen Schubs braucht oder ob es das Kind noch gar nicht schaffen kann – in diesem Fall würde das Belohnungssystem ein Strafsystem werden.
Bindungsorientiertes Sauberwerden
Irgendwann zeigen alle Kinder ein großes Interesse an Toiletten – das ist auch der Grund, warum dann viele Mütter meinen, man ist nie wieder alleine. Nicht einmal am Klo. Dabei ist es eine spielerische Herangehensweise an das Thema: Die Klospülung ausprobieren, mit dem Toilettenpapier spielen, die Klobürste ausprobieren – es ist spannend für ein Kind. Auch hier lernen sie durch Nachahmung und Vorbild. Wenn dein Kind sich also schon selbst die Hose herunterziehen kann, sich alleine auf den Topf setzen, sagen kann, dass es mal muss oder die Windel über 3 Stunden trocken bleibt, dann kannst du deinem Kind einmal den Topf anbieten.
Kinder zeigen deutlich, wenn sie müssen: Sie verziehen das Gesicht, verändern ihre Körperhaltung, oder ziehen sich zurück. Dann ist deine Begleitung gefragt: Geh gemeinsam mit deinem Kind. Nehmt euch für die ersten Klogänge viel Zeit. Auch Bücher können für Ablenkung sorgen. Keinesfalls solltest du dein Kind aber dazu zwingen, so lange sitzen zu bleiben, bis etwas kommt. Wenn es sagt, dass es nicht muss, dann vertraue ihm. Auch, wenn ein paar Minuten später die Hose nass ist. Ich verbrachte mit meinen Kindern regelmäßig viel Zeit am Klo – sie erzählten mir von ihrem Tag, wir sangen Lieder, wir lasen Bücher. Und heute machen sie das schon selbst.
Es ist ein Lernprozess, das Druckgefühl richtig einzuschätzen, den Schließmuskel aktivieren zu müssen und dann am Klo loslassen zu können. Gebt euch Zeit dazu und kauft viele Hosen ein, die einfach nur einen Gummibund haben. Alles ohne Knöpfe und Maschen ist ideal, denn es muss schnell gehen: Strumpfhosen, Leggins, Hosen mit Gummibund sind ideale Begleiter für die Zeit des Sauberwerdens. In mehrfacher Ausführung übrigens, denn Pannen kommen vor. Zur Sicherheit können auch waschbare Binden in die Unterhose gelegt werden, damit die ersten Tröpfchen aufgefangen werden. Bei den waschbaren Binden ist der Vorteil, dass sie frei von Zusatzstoffen sind und die Umwelt schonen.
Auch wenn laut den Aussagen der älteren Generation die Kinder früher trocken waren, haben Studien genau das Gegenteil bewiesen. Sie wurden nur öfters abgehalten – das hat nichts mit früher Blasenkontrolle zu tun. Es ist und bleibt ein Reifungsprozess, der liebevoll begleitet, aber nicht beschleunigt werden kann. Jedes Kind hat sein individuelles Tempo, auch beim Sauberwerden.