Während mich die ersten Trotzanfälle bei meinem ersten Kind noch überforderten, weil ich sie immer möglichst schnell beenden wollte, habe ich mich im Laufe der Zeit von dieser Vorstellung verabschiedet. Trotzanfälle sind für mich keine lästige Begleiterscheinung der Entwicklung mehr, sondern ein wichtiger Entwicklungsschritt und immer wieder die Möglichkeit zu erkennen, wann ich eine Grenze meines Kindes überschritten oder ein Bedürfnis nicht wahrgenommen habe. Ich habe gelernt, die Wutanfälle liebevoll und zugewandt zu begleiten und mich so weniger dadurch stressen zu lassen. Denn um mein Kind beruhigen zu können, muss ich ganz bei mir sein. Jetzt möchte ich euch zeigen, was genau ich dann in dieser Situation mache (und orientiere mich dabei an den Modell von Karp):
1.Schritt: Spiegeln
Nach Karp besteht der erste Schritt darin, respektvoll mit seinem Kind in Kontakt zu treten.
- Zuhören, was dir dein aufgebrachtes Kind sagt
- Wiederholen, was es gesagt hat
Dabei kommt es weniger darauf an, dass du es wortwörtlich wiederholst, sondern WIE du es sagst. Möglichst empathisch und auch mit aufgeregter Stimme: „Du bist wütend, du ärgerst dich, du sagst Nein, Nein, Nein!“ Keinesfalls ist damit gemeint, dass du dich neben dein Kind im Supermarkt auf den Boden legst und es nachäffst – das Kind darf dabei nicht das Gefühl haben, dass du dich über es lustig machst oder seinen Anfall ins Lächerliche ziehst. Nur wenn du die richtige Dosis erwischt, fühlt sich dein Kind angenommen und respektvoll behandelt. Du begegnest ihm mit Liebe, statt mit Konfrontation oder Wut. In meinem Fall bin ich im Supermarkt neben meiner wütenden Tochter gehockt, habe ihr sanft über den Rücken gestreichelt weil ich weiß, dass sie Berührungen dann gerne mag und aushalten kann und habe sie gespiegelt: „Du bist wütend, richtig wütend. Dein Lieblingsjoghurt ist nicht da und du hast dich schon so darauf gefreut. Ich verstehe dich……“ so ging es für ein paar Minuten, mit Wiederholungen, bis sie ihren Kummer loswurde, aufstand, mich umarmte, sich einen anderen Joghurt schnappte und weiterging. Als wäre nichts gewesen. Sie hat erfahren, dass es okay ist, so zu fühlen. Es ist okay, wütend zu sein, diese Gefühle sind richtig und gehören zu uns und unseren (Klein-)Kindern dazu.
Wenn du dir immer im Hinterkopf behältst, dass die linke Gehirnhälfte gerade auf Urlaub ist und die rechte dominiert, dann kannst du einfacher auf dein Kind einnehmen. Wenn du die Gefühle deines Kindes spiegelst, beruhigt es sich viel schneller und ist auf einer „normalen“ Ebene wieder ansprechbar. Ihr könnt gemeinsam überlegen, wie ihr die Situation löst.
2.Schritt: Aber…..
Jetzt ist nach Karp der beste Zeitpunkt, ihnen unsere Botschaft zu vermitteln. Ihnen also zu sagen, dass sie ihren Lieblingsjoghurt nicht haben können, weil er heute schon ausverkauft ist oder zu erklären, dass dein Kind leider nicht mehr weiterspielen kann, weil es schon spät ist und ihr los müsst. Natürlich kann das zu einem erneuten Wutanfall führen, aber er wird in der Regel nicht mehr so heftig ausfallen. Auch dann beginnt wieder der erste Schritt, das Spiegeln.
Hat sich dein Kind dann beruhigt, dann biete im eine Lösung oder einen Kompromiss an.
3.Schritt: Die Lösung/ der Kompromiss
Ein bisschen Zeit konnten Eltern ja gewinnen, um sich schon zu überlegen, wie sie wieder aus der Situation hinauskommen und dennoch die Bedürfnisse ihres Kindes ernst nehmen. Trotzdem ist dieser Schritt der schwierigste, denn nicht immer fällt einem eine Lösung ein, bei der es keinen Verlierer gibt. Manchmal sind Wahlmöglichkeiten eine gute Idee, oder Kompromisse, in anderen Situationen ist es dann die Wunscherfüllung in der Fantasie, die Karp vorschlägt: Spielerisch entführst du das Kind auf eine kleine Fantasiereise und lenkst so seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes. Eine nette Methode, die sicher ein wenig Übung braucht.
Mir fiel es zu Beginn schwer, mich darauf einzulassen und es wirklich auszuprobieren. In Kleinkindsprache mit meinem Kind zu reden? Sehr befremdlich. Heute klappt es gut, heute weiß ich, wie ich meine Kinder ansprechen muss und wie es am besten funktioniert sie zu beruhigen. Unangenehm ist es mir nur noch an öffentlichen Plätzen, wenn ich das Gefühl habe, unter Beobachtung zu stehen und keinen Freiraum zu bekommen, der mir und meinem Kind Schutz bietet. Ich saß ja mitten im Weg, man musste mich hier im Supermarkt einfach sehen. Es ist mir unangenehm, auch wenn ich weiß, wie ich die Situation auflösen kann. Und dennoch gibt es immer wieder Momente, da klappt es einfach nicht:
Das ist dann, wenn ich nicht ganz bei der Sache bin, wenn ich zu viel oder zu wenig spiegle. Mein hochsensibles Kind hält es z.B. nicht aus, wenn ich sie zu stark spiegle – bei ihr muss es weniger sein, damit sie nicht von noch mehr Reizen überfordert ist. Es kann natürlich auch sein, dass ich die Ursache für den Wutanfall missverstanden habe und mein Spiegeln nun dazu führt, dass mein Kind noch lauter schreit und versucht, sich mir so mitzuteilen. Da muss ich manchmal erfinderisch werden, warum mein Kind gerade jetzt so wütend ist, auch, wenn der Wutanfall scheinbar ohne Grund kam. Aber ohne Grund gibt es nicht. Es kann sein, dass sich die Wolken vor die Sonne geschoben haben, dass die Zahnpasta zu schnell oder zu langsam aus der Tube kam, dass sie etwas alleine machen möchte, es aber nicht schafft, etc. Manchmal liegt es nur nicht gleich so auf der Hand. Und natürlich klappt es auch dann nicht, wenn das Kind einfach zu müde ist und für nichts und niemanden mehr zugänglich. Da kann ich spiegeln was ich will, da hilft nichts mehr, außer dem Bedürfnis nach Ruhe und Schlaf nachzukommen.
So ein Trotzanfall bedeutet nicht nur für uns Eltern Stress, sondern auch für dein Kind. Es ist eine stressige Situation für alle. Kinder verfügen noch nicht über die nötigen Strategien, um mit Stress umzugehen – diese müssen sie erst erlernen.
Um das zu schaffen ist es für Kinder umso wichtiger zu erfahren, dass alle ihre Gefühle richtig sind und ihren Platz haben.
Kein Gefühl ist falsch oder weniger wichtig, kein Gefühl muss unterdrückt werden. Jedes Gefühl, Freude, Glück, Zorn oder Wut dürfen und müssen gezeigt werden. Wut tut gut.
Es ist ein Signal an andere, dass man sich gekränkt fühlt, dass man sich beherrscht fühlt – für Kinder ist es daher wichtig, dass sie in der Trotzphase ihre Wut über unsere Regeln, Vorstellungen und Erwartungen ausdrücken. Wie sollen sie sich denn sonst von uns ablösen und ihren eigenen Weg einschlagen? Und nur über die Konfrontation lernen sie, dass es dennoch wichtig ist, die Bedürfnisse aller Beteiligten zu besprechen und Lösungen zu finden. Und ja, dann werden sie auch erfahren, dass nicht immer alles „nach ihrem Kopf geht“ und sie sich einem Nein fügen müssen.
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Kinder lernen den Umgang im Stress durch unser Vorbild, aber auch mithilfe von Büchern.
Ein Wutanfall ist unterm Strich gesagt nicht mehr als ein Bedürfnis, das nicht erfüllt wurde. Es ist ein Zeichen, dass wir die Grenze eines Mitmenschen nicht wahrgenommen und sie übertreten haben. Weil es für einen Wutanfall immer einen Grund gibt ist es wichtig, sich zurückzunehmen und nicht aufbrausend auf die Wut zu reagieren. Damit ist nun nicht gemeint, dass unsere Kinder dadurch keine Grenzen bekommen. Denn wenn mein Kind auf die Straße läuft, dann werde ich es dennoch festhalten – selbstbestimmt hin oder her. Es bedeutet nur, die Gefühle deines Kindes ernst zu nehmen, die anzunehmen, sie auszuhalten und ihm zu helfen, aus dem Trotzanfall wieder herauszukommen.
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Quelle:
Harvey Karp: Das glücklichste Kleinkind der Welt: Wie Sie Ihr Kind liebevoll durch die Trotzphase begleiten