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Das Kind muss lernen was es darf – diese Begründung lesen wir immer wieder, wenn es um Erziehungsfragen geht. Das Kind muss lernen zu hören. Was damit gemeint ist, ist immer eines: Strafen. Es soll den Zusammenhang zwischen schlechtem Verhalten und einer Strafe erkennen und das eigene Verhalten nicht nur überdenken, sondern auch sofort den Vorstellungen anpassen. Das Kind muss also erzogen werden. Wie sollen Kinder denn lernen was sie dürfen und was nicht, wenn es ihnen niemand zeigt? Zumindest steckt hinter dieser Annahme, dass Kinder lernen müssten, was sie dürfen und was nicht. Das ist auch richtig. Kinder müssen viel lernen und wir als Eltern sind wichtige Vorbilder für sie. Wir unterstützen unsere Kinder, wir helfen ihnen, wir motivieren sie. Unsere Aufgabe als Eltern ist anstrengend und herausfordernd und immer wieder bringt uns unsere Rolle an unsere Grenze. Das Kind muss lernen was es darf ist häufig nur ein „Vorwand“, um die eigene Ohnmacht und Hilflosigkeit zu kaschieren.
Das Kind muss lernen was es darf: Tyrannen
Eltern wollen – davon gehen wir aus – das Beste für ihr Kind. Sie wollen es schützen, auf das wahre Leben vorbereiten und meinen, dass erzieherische Maßnahmen dazu notwendig sind – schließlich haben sie einem ja selbst auch nicht geschadet (bitte mit Augenzwinkern zu lesen). Ohne Erziehung und ohne das Eingreifen von Erwachsenen, die es vermeintlich besser wissen, würden uns unsere Kinder auf der Nase herumtanzen. Was Kinder demzufolge also brauchen: Regeln, Grenzen, Konsequenzen, Drohungen, Strafen, Auszeiten. Sie müssen lernen, dass ihr Verhalten Konsequenzen hat. Was ist das bloß für ein Bild von Kindern, das wir da in uns tragen?
Immer wieder glauben wir, dass uns unsere Kinder mit Absicht „tyrannisieren“. Etwa dann, wenn sie nicht hören, wenn sie ihre Grenzen austesten, wenn sie sich unangemessen verhalten oder nicht so, wie wir es uns vorstellen. Doch viele dieser Situationen entstehen nicht mit böser Absicht, sondern sie entstehen aus einem Affekt. Kinder sind noch nicht in der Lage ihre Emotionen zu steuern und werden oft von ihnen überwältigt. Ihre Gefühle überrollen sie und wenn dann ihr ganzes System auf „Überforderung“ läuft, dann brechen diese Emotionen aus ihnen heraus. Das Kind ist dann nicht trotzig, bockig oder unerzogen, sondern es ist ein Kind, das gerade Unterstützung braucht, weil es überfordert ist.
Das Kind muss lernen was es darf: Erwartungen
Aber noch etwas kommt hinzu: Oft sind unsere Kinder noch gar nicht imstande, unsere Erwartungen zu erfüllen. Auch wir begegnen Situationen mit bestimmten Vorstellungen und übertragen diese auf unsere Kinder. Doch das überfordert sie. Sie sind aufgrund ihrer Entwicklung noch gar nicht in der Lage, anders zu handeln, oder sie sind schon zu müde, sie sind hungrig, sie haben einen schlechten Tag oder müssen schon zu viele Eindrücke verarbeiten. Dann können Kinder nicht so reagieren, wie wir es uns erwarten. Dass Kinder sich dann auf den Boden werfen, weinen, hauen, „Nein“ schreien hat nicht damit zu tun, dass du als Elternteil versagt hast oder es mit der Erziehung nicht hinbekommst. Diese Reaktionen sind ein normaler Teil der Entwicklung eines Kindes und hat nichts damit zu tun, dass das Kind nun Grenzen und Konsequenzen braucht, oder bestraft werden muss, damit es lernt, was es darf und was nicht. Kinder brauchen eine liebevolle Begleitung und eine stabile Beziehung zu ihren Eltern.
Warum du lernen solltest, was du erwarten kannst
Das Kind muss lernen was es darf – dabei geht es nicht darum, dein Kind zu bestrafen, sondern es geht darum, dein Kind anzunehmen und es zu begleiten. Es ist nicht so, dass du nichts tun kannst. Hab immer im Hinterkopf, dass Kinder auf das Verhalten und auf ihre Umgebung reagieren. So kann ein Wutanfall damit zusammenhängen, dass das Kind andere Erwartungen hatte, dass es eigene Vorstellungen hatte. Es hat nichts damit zu tun, dass dein Kind sich gegen dich auflehnt oder dich mit Absicht ärgert. Das könnte es noch gar nicht! Erst mit etwa 3-4 Jahren sind Kinder in der Lage, bewusst zu ärgern – dazu müssen sie nämlich empathisch sein. Du kannst mit deiner Einstellung etwas zur Beruhigung der Situation beitragen. Wir verraten dir gerne ein paar Tipps:
- Erwartungen überdenken
Kinder müssen wissen, was von ihnen erwartet wird. Deswegen: Sei klar in deinen Anweisungen und denke laut! Nur wenn dein Kind weiß, was von ihm erwartet wird, wenn es vorbereitet ist, hat es die Chance, angemessen zu reagiere. Das heißt noch nicht, dass es dann immer klappt, aber es ist erster Schritt. Bedenke bei deinen Erwartungen aber auch immer, ob sie dein Kind aufgrund seines Alters überhaupt schon erfüllen kann. So kann ein 2-jähriges Kind sich noch nicht in sein Gegenüber hineinversetzen und verstehen, warum es auf das Baby Rücksicht nehmen soll oder warum beißen weh tut.
- Eigene Bedürfnisse achten
Respektvoll miteinander umzugehen und die Bedürfnisse aller Familienmitglieder zu achten heißt nicht, dass du deinem Kind jeden Wunsch erfüllen musst. Wer „attachment parenting“ lebt, muss auf seine eigenen Bedürfnisse achten – und nur dann kannst du deinem Kind gegenüber gelassen sein. Deswegen: Schau auf dich! Hol dir Hilfe, wenn du merkst, dass dir gerade alles zu viel wird und nimm sie an, wenn sie angeboten wird. Leg immer wieder kleine Pausen ein, achte auf deine me-time, lass den Haushalt mal links liegen und schraub deine Erwartungen an dich, deine Erziehung und deine Rolle als Frau herunter. Nimm dir nicht zu viel vor. Du musst nicht 110% geben, es tun auch 80%.
- Nimm es nicht persönlich
Wenn dir dein Kind an den Kopf wirft, dass du gemein oder fies und eine blöde Mama bist, dann nimm es nicht persönlich. Vieles, was unsere Kinder tun, tun sie nicht, um uns zu ärgern. Sie planen nicht, wie sie uns auf die Palme bringen, auch, wenn es manchmal so scheint. Nimm es nicht persönlich, sondern nimm dich selbst kurz aus der Situation, schaffe ein wenig Abstand und schaue dann noch einmal, was passiert ist und was die Reaktionen in deinem Kind ausgelöst haben könnten.
- Was ist mir wichtig?
Du kennst bestimmt auch diese „das macht man nicht“-Geschichten. Hast du dich schon einmal gefragt, woher die kommen? Sind das wirklich Dinge, die dir wichtig sind oder versuchst du sie nur umzusetzen, weil „man“ es so macht? Überlege daher, was DIR wichtig ist. Was soll dein Kind mitnehmen? Worauf legst du wert? Ist es dir wirklich so wichtig und kann dein Kind das überhaupt schon aufgrund seiner Entwicklung verstehen und umsetzen? Gibt es vielleicht auch andere Wege, die das Konfliktpotential reduzieren? Setze die Dinge um, die DIR wichtig sind und nicht jene, die du glaubst, umsetzen zu müssen.
Das Leben mit Kindern ist oft anstrengend, aber es ist nicht so, dass das Kind lernen muss was es darf und was nicht. Vielmehr gilt es, selbst ein gutes Vorbild zu sein und so den Weg zu zeigen. Aber was nie zu kurz kommen sollte ist der Spaß: Regeln, Strafen und Konsequenzen stehen dem Spaß im Weg. Deswegen: Lehn dich zurück, entspanne dich und schaue, wie du eine Umgebung für euch schaffst, die möglichst wenig Reibereien bringt. Schafft euch eine Ja-Umgebung.