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Am Spielplatz:
„Darf sich Sara deine Sandförmchen ausborgen?“ fragte die Mutter von Sara, mir zugewandt. Es sind ja nicht meine Sandförmchen. Wir kennen Sara und ihre Mutter nicht. Sie gesellen sich zu uns in die Sandkiste, während wir gerade eine Burg bauen. Sara hat wohl keine Sandspielsachen mit und möchte auch gerne bauen. Ich habe ja nichts gegen Teilen, aber das kann ich nicht entscheiden.
„Da müssen Sie meine Tochter fragen, es sind ihre Sandförmchen.“
Die Mutter schaute mich erstaunt an. Probiert es aber, diesmal zu meiner Tochter zugewandt.
„Darf sich Sara deine Sandförmchen ausborgen?“
Minimi, 2,5 Jahre: „Nein, das ist meins.“
Damit hat sie wohl nicht gerechnet. Steht auf, schaut mich böse an und meint: „So ein unerzogenes Kind. Sie könnte ruhig teilen.“
Zugegeben, mir war die Situation nicht sonderlich angenehm. Doch was wäre die richtige erzieherische Maßnahme gewesen? Sagen „Ach Minimi, sei nicht so. Du bekommst es ja wieder zurück“.
Warum Minimi nicht anders kann
Das liegt nicht an meinem Kind, sondern alle Kinder sind so: Sie sind Egoisten. Dabei ist es Eltern in ihrer Erziehung doch wichtig, dass das Kind empathisch, sozial und großzügig ist – kleine Egoisten passen da nicht ins Bild.
Ich habe nichts gegen Teilen und Gerechtigkeit, ganz und gar nicht – aber haben wir nicht sehr hohe Maßstäbe an unsere Kinder? Ich analysiere die Situation jetzt mal:
Meine Sandförmchensammlerin mit 2,5 Jahren kann noch gar nicht anders. Sie hat einen sozusagen systemimmanenten Egoismus. In ihrer Entwicklungsphase, dem Egozentrismus, dreht sich alles um das Kind selbst. Und auch das ist ein evolutionäres Programm wie die Tatsache, dass Kinder nicht abgelegt werden und nicht alleine schlafen wollen. Sie wollen auch nicht teilen, denn wer mehr hat, hat auch größere Überlebenschancen. Wer also Vorräte anlegen konnte (Kinder sind ja kleine Sammler) und sich am meisten bemerkbar machte, hatte Aussichten auf ein langes Leben – hört sich nun befremdlich an, zeigt aber, dass unsere Kinder noch kleine Steinzeitmenschen sind.
Es ist doch nur Plastikspielzeug
Aber mal ganz ehrlich: Warum stellt sich mein Kind beim Teilen so an? Es ist doch nur ein Plastikspielzeug, das es wieder zurückbekommt. Es wird weder kaputt gehen, noch verloren gehen. Und wir haben ja genug Sandspielsachen – das kann ich mir denken, denn ich habe bereits gelernt, dass Teilen etwas Gutes ist. Und dennoch mache ich es selbst nicht immer gerne.
Gefangen in der inneren Welt
Bei Minimi kommt noch etwas anderes hinzu. Sie kann noch nicht zwischen sich und der Welt unterscheiden – es ist in ihrer inneren Welt für nichts anderes Platz als für ihre Sandförmchen, die ihr gerade so wichtig sind. Sie kann nicht zwischen ihren eigenen Gefühlen und den anderer Menschen unterscheiden. Und schon gar nicht das Verlangen der anderen Mutter verstehen, dass sie mit Sara ihre Spielförmchen teilen soll.
Das hat nichts mit einer schlechten Erziehung zu tun, sondern mit dem Eigentumsbegriff, der Kinder zwischen 2 und 3 Jahren zu hartnäckigen Meins-Materialisten werden lässt. Egoismus hoch 10. Dabei ist es so einfach. Damit Kinder überhaupt teilen lernen, müssen sie erst einmal ihre Spielsachen behalten dürfen. Sie müssen wissen, dass es Dinge gibt, die ihnen gehören und über die sie entscheiden dürfen und die sie auch nicht hergeben müssen, wenn sie nicht wollen. Der Antrag der Mutter wurde abgelehnt – das muss akzeptiert werden und ist das gute Recht meines Kindes, über seine Spielsachen zu entscheiden (auch, wenn zwei Hände meiner Logik nach nicht zu viele Förmchen bräuchten).
Schließlich würde ich auch nicht wollen, dass jemand anderer darüber entscheidet, mit wem ich mein Smartphone teile. Und da sind wir auch schon bei meinem Egoimus: Auch ich möchte meinen Besitz nur ungern teilen und schon gar nicht, wenn ich die andere Person nicht kenne oder überrumpelt werde. Würde sich nun jemand einmischen und sagen: „Stell dich nicht so an, du bekommst dein Smartphone eh gleich wieder zurück“ würde ich empört reagieren. Denn es ist ja mein Besitz und ich darf entscheiden. Genau dieses Recht räume ich auch meinem Kind ein, wenn es um (die für mich weniger wertvollen) Sandspielförmchen geht.
Was Kinder lernen
Kinder, die nicht zum Teilen gezwungen werden, lernen eines: Wenn ich das nicht muss, müssen auch andere es nicht und so entsteht Respekt vor dem persönlichen Besitz.
Seinen Besitz abzugeben oder zu teilen, ist – entgegen dem Verlagen möglichst viel davon zu horten und zu besitzen – ein soziales Verhalten, das erst gelernt werden muss. Meist mühsam und mit vielen peinlichen Situationen für die Eltern. Und diese Entwicklung wird nicht etwa durch das Eingreifen und Entscheiden der Eltern erlernt, sondern es hängt mit Einfühlungsvermögen und Empathie zusammen. Erst wenn Kinder ein Gespür dafür entwickelt haben, wie es dem Gegenüber geht und wie es sich anfühlt, etwas unbedingt haben zu wollen, können sie freiwillig ihre Spielsachen verborgen. Mit dem „Du“ sind Kleinkinder zwischen 2 und 3 Jahren einfach überfordert.
Mein Kind muss nicht teilen
Hätte ich Minimi nun einfach eine Schaufel entrissen und Sara gegeben, hätte ich die denkbar schlechteste Lösung umgesetzt. Doch genau das machen viele Eltern. Je mehr ich mein Kind zwinge seinen Besitz zu teilen, desto vehementer wird es diesen künftig verteidigen. Und würde mein Kind seine Spielsachen bereitwillig teilen, steckt dahinter weniger ein uneigennütziges Verhalten als ein Handeln nach meinen Erwartungen, in dem ich es immer wieder beharrlich von meinem Kind verlangt habe. Das tue ich aber nicht und sitze nun gelassen neben ihr in der Sandkiste, baue weiter und kann beobachten, wie andere Kinder zum Teilen überredet oder gezwungen werden.
Kinder teilen gerne
Ich gestehe, beim dritten Kind habe ich hier schon mehr Gelassenheit und Erfahrung, denn auch bei Frau L., der Erstgeborenen, gehörte ich der Fraktion an, die das Kind zum Teilen überreden wollte (und schnell merkte, dass es uns nichts bringt). Ich sehe nun bei Frau L. und Frau Schnecke, dass sie immer noch gerne viele Besitztümer in Form von Steinen, Blätter, Ästen etc. anhäufen, aber auch gerne teilen und sehr bereitwillig. Ein besonders schönes Bespiel dafür ereignete sich im Kindergarten beim Faschingsfest, da war Frau L. etwa 4-5 Jahre alt. Sie war verkleidet als Meeresprinzessin mit einer Krone am Kopf, die ganze Gruppe war bunt, verkleidet und lustig. Bis auf ein Mädchen, dessen Eltern sich keine Verkleidung leisten konnten (wie ich später erfuhr). Ich beobachtete die Situation, als Frau L. auf das Mädchen zuging und fragte, warum sie nicht verkleidet sei. Das Mädchen weinte und meinte nur: Ich weiß nicht. Darauf bot ihr Frau L. ihre Krone an, denn sie braucht sie nicht so dringend und dann sei sie eben eine Prinzessin.
Ich war so berührt von dieser Situation und sah die Früchte der ganzen peinlichen Situationen in den Jahren zuvor. Meine Tochter teilte ganz freiwillig und freute sich dann mit dem Mädchen gemeinsam. Sie wurde keine egoistische Tyrannin, sondern ein mitfühlender Mensch. Auch, wenn sie ihre Besitztümer im Alter von 2-3 Jahren noch nicht teilen wollte.
Wie gehst du mit solchen Situationen um? Welche Erfahrungen hast du?
Deine Anna