Stadt oder Land – wo geht es Kindern besser?

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Ilona hat zu einer Blogparade aufgerufen und gefragt, was ist besser: Stadt oder Land? Genauso könnte man wohl fragen, was zuerst da war: Huhn oder Ei? Aber wir probieren uns daran.

 

Zu Beginn war das Land

Aufgewachsen bin ich am Stadtrand, schon sehr ländlich angehaucht. Ich gestehe, ich habe es gehasst aufgrund der schlechten Verkehrsanbindung. Mindestens eine ¾ Stunde musste ich immer kalkulieren, der letzte Bus ging kurz nach Mitternacht. Nahversorgung: Fehlanzeige. Es war mühsam. Die Vorteile des Lebens am Stadtrand nahe einem Industrieviertel haben sich mir als Kind nicht erschlossen. Nichts mit weiten Wiesen, Feldern zum Erkunden und unberührter Natur. Stadtrand muss nicht immer Idylle heißen. Für mich hieß es immer: Früh aufstehen, mehr Zeit einplanen, Ausfälle im Winter bei 3cm Schnee einkalkulieren – vielleicht wurde ich deswegen zur Leseratte. Nur ein großer Garten hatte etwas mit Natur gemeinsam.

Mir war klar: Wenn ich groß bin, ziehe ich in die Stadt.

 

Dann kam die Stadt

Gesagt getan. Die erste Wohnung war mitten in der Stadt. Infrastruktur, Einkaufsmöglichkeiten, Uni-Nähe: Ein Paradies. Menschen, viele Menschen um einen herum, das Leben pur, am Puls der Zeit. Ich habe die Vorteile der Stadt mit Nacht-U-Bahn, Nahversorgung, Möglichkeiten zum Ausgehen wirklich ausgenutzt und genossen. Ich war frei. Und habe einen absoluten Stadtmenschen geheiratet.

 

Dann kam der Koller: Hier sollen meine Kinder aufwachsen?

Es war wie in Schalter, der umgelegt wurde. Plötzlich war ich im Familien-Vorstadt-Idyllen-Leben-Modus und wünschte mir nichts mehr als ein Häuschen mit Garten und weißem Zaun am Stadtrand. Nur habe ich dazu den falschen Mann geheiratet, der aus der Stadt ohne den Komfort nicht leben könnte. Zumindest seiner Aussage nach.

Doch ist das die Umgebung, in der meine Kinder aufwachsen sollen?

Wo gibt es denn Spielplätze, Grünflächen, Orte des unbeobachteten Spielens, Wald, Naturbegegnungen?

Darauf sollen sie nur für eine U-Bahn vor der Haustür verzichten? Das Laute, die vielen Menschen, die Unruhe, Hektik, die schlechte Luft – da spricht doch wirklich nichts dafür, in der Stadt zu leben.

Was sagte mein Mann? Er wurde auch gut groß und zählte mir die Vorteile auf. Überzeugend waren sie nicht, aber eine Trennung – nur deswegen – kam auch nicht in Frage.

 

Der Kompromiss: Stadtwohnung mit Landsitz

Wir mussten erneut umziehen. Die alte Wohnung in der Stadt wurde für zwei Kinder zu klein. Doch wohin? Stadt, Land, Stadtrand?

Praktisch war das Leben mit Kind in der Stadt nicht:

  • Beim Aufzug mit dem Kinderwagen immer warten,
  • keinen Platz in überfüllten Bussen und
  • bissige Bemerkungen, wenn das Kind einmal weinte
  • Auf Kinder wird kaum Rücksicht genommen – sie werden gestoßen und angerempelt
  • Neue Kontakte zu knüpfen war schwer – die Anonymität mal wieder
  • Mit dem Rad war es viel gefährlicher zu fahren
  • Sobald die Kinder mobiler waren und etwa ein Laufrad hatten, wurde es durch den Straßenverkehr viel gefährlicher
  • Nachts war es oft sehr laut – die Nachbarn haben bis 22 Uhr und später fröhlich im Stahlbeton gebohrt

Ich musste mir das Leben mit Kindern in der Stadt erst schön und einfach machen und wurde zur Tragemama. Ich konnte mich mit meinem Leben in der Stadt arrangieren und lernte auch schnell die Vorteile kennen.

  • Wir brauchten kein Auto mehr
  • Der Kindergarten und auch die Schule waren nur 10 Minuten zu Fuß entfernt
  • Eine tolle Bücherei bescherte uns viele tolle Lesenachmittage
  • Ein Kinderarzt war gleich ums Eck
  • Es gab viele Spielgruppen, Kurse, Theatervorstellungen etc. für Abwechslung im Alltag (man darf sich nur nicht hinreißen lassen und sich verplanen)
  • Einkaufsmöglichkeiten waren nur wenige Minuten entfernt
  • Ich muss nicht ständig Smalltalk führen, wenn eine anstrengende Nacht hinter uns lag
  • Die Kinder lernten mit Gefahren im Straßenverkehr umzugehen
  • Wer in die Natur will, kann auch hinfahren
  • Am Spielplatz lernt man schnell neue Mütter kennen und damit auch viele Spielgefährten für die Kinder

Die neue Wohnung sollte unsere beiden Wünsche respektieren und per Zufall fanden wir ein Projekt, das besser nicht sein könnte: In der Stadt in U-Bahn-Nähe mit guter Infrastruktur, Kinderärzten, Kindergärten, Schulen, einem Fahrradweg UND mit vielen Parks und einem Wald in der Nähe. Teils sogar in Gehweite. Wir waren begeistert. Ich stellte mir vor: Den Nachmittag könnte ich so mit den Kindern in der Natur verbringen, in den Wald fahren, die Zeit auf dem Spielplatz mit ihnen verbringen. Groß genug und leistbar war die Wohnung zudem. Wir haben zugeschlagen. Dazu gab es einen tollen Innenhof, in dem die Kinder unbeobachtet spielen können und ihre Banden bilden. Ein Bullerbü-Gefühl kam auf.

Aber ich wollte noch mehr: Ich liebe Gartenarbeit. Ich bin mit Garten, Kräuterbeeten, Obstbäumen und selbst angebautem Gemüse groß geworden. Bio spielt eine große Rolle in unserer Familie. Heute weiß ich zu schätzen, was ich damals in der Kindheit hatte.

Also pachteten wir einen Kleingarten am Land – gut mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Dort leben wir sehr minimalistisch mit Camping-Feeling und verzichten bewusst auf viel Luxus und Komfort, den wir sonst genießen. Für die Kinder ist es Abenteuerurlaub pur. Unter der Woche genießen wir die Vorzüge der Stadt, haben Kindergarten und Schule in Gehweite und sind schnell mobil. Wir leben eher anonym und die Kinder unter viel Beobachtung, denn sie sind noch zu jung, alleine auf den Spielplatz zu gehen. Ich habe das Gefühl, ihnen einen Teil Kindheit zu rauben, weil ich immer anwesend bin. Schrecklich. Am Wochenende zieht es uns aufs Land, wo die Kinder rasch Anschluss mit den Nachbarn gefunden haben und wo wir uns wohl fühlen.

Dort sind wir nicht anonym.

Dort kennen wir einander.

Dort spielen die Kinder bei jedem Wetter draußen.

Dort sind unsere Kinder viel entspannter, relaxter, zufriedener. Und mehr Kind.

Ich kann der Gartenarbeit nachkommen, anpflanzen, ernten, die Kinder können gatschen, toben, umgraben und einfach frei sein.

 

Wenn man mich nun fragt, ob Stadt oder Land, dann würde ich sagen: Stadt. Ich mag mittlerweile die Vorzüge, die Hektik, das Drumherum, die Möglichkeiten. Das möchte ich nicht vermissen.  Genauso bedeutet mir aber der Ausgleich zum Großstadtdschungel viel – ohne dem wäre ich wohl unglücklich, denn in der Natur kann ich abschalten, erholen, entspannen und dann mit neuen Kräften wieder losstarten.

Wenn man mich nun fragt, wo es für Kinder besser ist, dann würde ich sagen: Dort, wo auch die Eltern glücklich sind. Und wo es andere Kinder gibt. Würde man mich (überspitzt gesagt) auf ein Alm in den Bergen stecken, wäre ich nicht glücklich. Und die Kinder, die Sozialkontakte zu Gleichaltrigen schätzen, auch nicht. Was hilft mir die unberührte Natur, wenn es keine anderen Kinder für Banden gibt? Ich bin überzeugt, diese Stimmung würde unsere Familie beeinträchtigen. Auch in der Stadt können Kinder Naturerlebnisse sammeln, unberührte Natur erleben, den Kreislauf des Lebens mitbekommen und glücklich aufwachsen. Man muss es nur auch selbst wollen.

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